Bac allemand 2008
1952 in Leipzig in der DDR : Manfred und sein Bruder Wolfgang leiten gemeinsam eine kleine Firma. Doch eines Tages beschließt Manfred, mit seiner Familie in den Westen zu ziehen.
Manfred und seine Familie kamen zum Verabschieden. Sie wollten am nächsten Morgen den ersten D-Zug nach Berlin nehmen, um dann am Ost-Bahnhof in die S-Bahn umzusteigen und über Alexanderplatz und Friedrichstraße nach Westberlin zu fahren. „Das ist der ungefährlichste Weg“, sagte Manfred, „denn an der grünen Grenze1 haben sie schon eine Menge geschnappt2.“
Sie hatten einen ganzen Handwagen voller Sachen mitgebracht, die sie auf dem Dachboden abstellen wollten. Der größte Teil ihrer Habe war bereits an Verwandte und Bekannte im Westen geschickt, einen Rest wollten sie in Koffern mitnehmen. Die Sachen auf dem Handwagen waren zu sperrig3 zum Mitnehmen und zu empfindlich zum Verschicken: ein Kristalllüster war darunter, drei große Ölbilder in goldenen Rahmen, zwei Porzellanvasen mit bunten Drachen und ein ganzes Essservice.
„So“, sagte Wolfgang, als alles oben war, „nun können wir wetten, ob ihr die Sachen irgendwann wiederseht.“
„Wenn nicht, werden wir auch nicht daran zugrunde gehen4“, entgegnete Manfred, und es klang ein wenig ungehalten5. Die Mutter kredenzte eine Flasche bulgarischen Wein aus dem HO6.
„Weißt du, woran ich in letzter Zeit manchmal gedacht habe?“ fragte Manfred und beantwortete die Frage auch gleich: „An unseren Großonkel Waldemar, der damals in den zwanziger Jahren nach Amerika ausgewandert ist. Da hatten wir doch alle das Gefühl, Amerika sei so weit weg wie der Mond. Jetzt gehen wir nur bis nach Hannover, wo ich noch vor zehn Jahren oft zu tun hatte und alles kenne, Café Kröpke und Georgspalast und Hotel Mußmann und alles – aber es kommt mir vor, als gingen wir nach Amerika.“
Es war ein paar Augenblicke lang still, bis die Mutter sagte: „Von Waldemar haben wir ja nie wieder was gehört.“
Wieder war es still, dann erhob Wolfgang sein Glas: „Auf